Die Herstellung von 500 Gramm Meth hinterlässt drei Kilo Giftmüll. Schwarze Totenköpfe auf gelbem Hintergrund: Lauge, Ammoniak und Batteriesäure dürfen nicht im Hausmüll entsorgt werden – zu giftig sind die Schadstoffe, die bei der Müllverbrennung freigesetzt würden. Das Endprodukt gibt keinen beißenden Geruch von sich. Die weißen Kristalle sehen harmlos aus, ein wenig wie Glasscherben. Im Sonnenlicht schimmern sie bunt. Crystal Meth zählt zu den gefährlichsten Drogen weltweit. Es ist ein starkes Nervengift, das den Körper langsam von innen auffrisst. Es scheint in der Gesellschaft nicht angekommen zu sein – die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat die Droge erst vor wenigen Jahren in ihr Register aufgenommen. Kosumierenden-Statistiken gibt es kaum. Die fehlende Aufklärung ist gefährlich, weil sie verharmlosend wirkt und ausblendet, was aus wenigen dunklen Ecken langsam in die Partyszene überschwappt. Crystal Meth ist kein Phantom. Und Crystal Meth ist kein Problem des Ostblocks.

Für diesen Text habe ich mit Sebastian Caspar gesprochen. Er hat den ersten deutschsprachigen Roman, „Zone C“ (Unsichtbar Verlag), über Crystal Meth veröffentlicht. Sebastian ist Ex-Konsument. Und Sebastian steht sinnbildlich für den Kampf gegen eine Sucht, die man erst erkennt, wenn sie Körper und Psyche angefangen hat zu zersetzen. Heute arbeitet Sebastian als Schulsozialarbeiter und betreibt Präventionsarbeit. Er hat einen sechs Jahre alten Sohn, spielt in einer Band, macht gerne Sport, verbringt Zeit mit seiner Familie. Das hätte er sich noch vor ein paar Jahren nicht vorstellen können. „Ich war wie ein Freak“, sagt er und erzählt von tagelanger Schlaflosigkeit und animalischen Sex-Ekstasen. Zehn Jahre lang hat er Crystal Meth konsumiert, dann wurde er gerettet, so sagt er das selbst. Ein sehr persönlicher Text über Abhängigkeit, Grenzen und dem schmalen Grat zwischen Schweben und Verblassen.

Kokain für Arme

Bevor ich angefangen habe für diesen Text zu recherchieren war Crystal Meth für mich das Breaking-Bad-Phänomen. Eine in amerikanischen Filmstudios herangezüchtete Super-Droge, die es so gar nicht geben kann. Ich habe in Berlin studiert. Die Drogenpolitik dort ist so liberal, dass es sie nicht mehr gibt, 30 Stunden tanzen ist normal und wenn Kraftklub singt, dass alle Sonnenbrille tragen, obwohl es schneit, dann trifft das wohl nicht auf alle zu, aber auf viele. Ecstasy wird geschluckt und Speed wird geschnupft und das alles ist gar nicht so wild. Zustimmung findet man immer, wenn sie an den richtigen Stellen gesucht wird. Crystal Meth ist eine andere Nummer als ein paar Pillen oder Kokain, so der Jargon. Was viele dabei nicht wissen: Crystal Meth ist ein Methamphetamin, das eng mit den Amphetaminen, vor allem mit Speed, verwandt ist. Es setzt sich an die Neurotransmitter im Gehirn, die vor allem Dopamin und Adrenalin ausschütten und gleichzeitig ihren Abbau bremsen. Das Nervensystem wird aktiviert, die Herzfrequenz steigt, Euphorie, Leichtigkeit und Selbstvertrauen überschwemmen das Gemüt. Dass man sich gerade Batteriesäure durch die Nase gezogen hat, vergisst man dabei. Genauso vergisst man zu essen, zu schlafen, Schmerzen empfindet man auch nicht mehr. Im zweiten Weltkrieg wurde Crystal Meth als „Panzerschokolade“ an die Soldaten verfüttert, um ihre Leistungsfähigkeit zu steigern. Crystal Meth als Kriegswaffe. Je mehr ich recherchiere, umso schockierter bin ich. Ich klicke mich durch Fahndungsfotos von Konsumierenden, denen die Droge im Gesicht abzulesen ist. „Warum, Sebastian? Man weiß doch, wie gefährlich das ist, oder?“ Ich höre ihn durchs Telefon lächeln. „Es fing ja nicht mit Crystal an. Am Anfang wussten wir gar nicht, dass es Meth war, was wir konsumierten.“ Er nennt es Kokain des armen Mannes und erzählt von seinem Einstieg in die Sucht. Anfänge erkennt man eben doch erst dann, wenn es keine mehr sind.

Auf C ist man nicht fähig zu lieben. Auf C ist man roh, ungeschliffen, ohne aufgesetztes und erlerntes Rollenverhalten, so missbraucht man sich und das Gegenüber. Man ist allein, an schlimmen Tagen sogar so sehr, dass man spürt, sich selbst verlassen zu haben. (S.40)

„Ich hatte das Glück, eine drogenfreie Schulzeit zu haben“, sagt der 43 Jahre alte Ossi. Aber er habe sie gehasst, die Schule. Nach dem Abitur hat er Zivildienst gemacht, „da hat’s angefangen“, sagt er. „Von Cannabis zu Crystal in zwei Jahren.“ „Krass“, sage ich vorsichtig, und denke in diesem Moment an den unhinterfragten Cannabis-Konsum, nicht nur in meinem Mikrokosmos. „So krass ist das gar nicht, das kennt eigentlich jeder“, greift Sebastian meine Gedanken auf. Am Anfang sei das alles auch noch kein Problem gewesen, er hat angefangen Psychologie und Philosophie zu studieren, ein intelligenter, neugieriger junger Mann. Wie wird man unter diesen Voraussetzungen zum Junkie? Scheidungskind, sagt er nebenbei, Brüche in der Kindheit. Narben in der Seele. Kennt man. „Ich mag Grenzüberschreitungen und ich fordere mir das auch ein“, sagt er dann. Wenn Menschen sich aus der Summe ihrer Grenzen definieren, dann ist auch das nichts Ungewöhnliches – bewegt sich nicht das ganze Leben zwischen Kontrolle und Kontrollverlust und der Neudefinition des persönlichen (Grenz)horizontes? Sind wir nicht alle anfällig für irgendwelche Süchte?

Willkommen im Happy Crystal-Land

Drogenkonsum ist eine stoffgebundene Betäubung, eine Autoaggression gegen sich selbst. „Der äußere Druck, den man empfindet wird temporär umgelenkt“, sagt Sebastian. Und ich weiß was er meint. Ich kenne das Gefühl sich selbst nicht aushalten zu können. Viele kennen das. Manche Menschen verletzen sich dann, andere hören auf zu essen, andere nehmen Drogen. „Es gibt keinen Tag X an dem du süchtig wirst, das ist ein Prozess“, sagt Sebastian und erzählt von einer Banalisierung. Sucht ist so intim wie schambesetzt, dass sie versteckt werden muss, wenn sie genährt werden will. Sucht verschwindet im öffentlichen Raum, um im privaten noch stärker zurückzukommen. Bis man sich selbst nicht mehr wehren kann. „Wie ein Dämon“, sagt Sebastian und beschreibt seine Drogensucht als äußere Kraft, die fremdsteuert und manipuliert und den Weg in den Tod mit rotem Teppich und Jungfrauen auskleidet: Herzlich willkommen im happy Crystal-Land, Sebastian. Er erzählt von einer Entfremdung zu seiner Familie und einer Realität, die in all ihren Facetten kaum gestörter sein könnte. „Aber so lange man noch arbeiten gehen kann, ist alles okay“, sagt sein Dämon Crystal. Auch nach fünf Tagen ohne Schlaf. Diese Sucht höhlt von innen aus, sie zerstört den Körper und zersetzt die Psyche, „irgendwann ziehst du nur noch aus Gewohnheit, oder weil deine Synapsen darauf programmiert sind“, sagt Sebastian. Er habe eine Toleranz entwickelt, irgendwann kickt der Stoff nicht mehr. Irgendwann werden die depressiven Phasen länger, „ein wochenlanger Abklatsch“, sagt er, und bei den Kicks fängt das Herz an auszusetzen. „Du weißt ganz genau, dass du gerade am Limit bist. Und du knallst dir trotzdem noch eine Line rein.“

Crystal Meth unterscheidet sich insofern von sämtlichen anderen Amphetaminen, dass sie schneller abhängig macht und der Kick intensiver ist. Das macht sie so gefährlich. „Eine allmächtige Droge“, sagt Sebastian. Wer möchte noch laufen, wenn er fliegen kann?

Zehn Jahre sind eine lange Zeit. Ein halbes Leben, wenn man Anfang 20 ist.

2007 hat Sebastian Caspar seine letzte Line gezogen. Schon Jahre vorher hat er die Psychose hinter sich gespürt, sagt er. Irgendwann würde er aus dem Loch des depressiven Downers nicht mehr herauskommen. Hängenbleiben. Drogeninduzierte Psychosen. Lebendiger tot. Heute hat er immer noch Albträume von Rückfällen. Nur jeder achte Crystal-Meth-Konsumierende bleibt clean, die Rückfallquote ist höher, als bei jeder anderen Droge. „Wie hast du es geschafft, Sebastian?“ Er lacht, seine Stimme ist warm und zart. „Das mag kitschig klingen, aber meine jetzige Frau hat mich gerettet.“ Er hat sie vor seiner Drogenzeit auf Bali kennengelernt, einige Jahre später ist er zurückgekehrt, hat sich „unsterblich verliebt“ und sich für das Leben entschieden. 2007 ist Sebastian 30 Jahre alt geworden. Er hat sich verlobt und ein Studium begonnen. „Ich habe angefangen Nachhaltigkeit zu entwickeln“, sagt er. „Auf einmal ging das alles. Also alles.“ Wenn er alles sagt, dann meint er Leben ohne Betäubung. Leben, das Dopamin ausschüttet, ohne es künstlich zuzuführen. Nachhaltiges Glück, nicht temporäres High. Heute geht Sebastian. Er hat Angst vorm Fliegen und er sieht, dass die Kids es zum Teil nicht haben. Er spricht von verklärter Liebe und dem Wunsch, grenzenlos frei zu sein. Das ist gefährlich, sagt er, weil viele junge Menschen verlernt haben, zu lieben. „Auf allen Hochzeiten tanzen wollen, aber seelisch total verkümmert sein“, sagt er und ich frage mich, ob Crystal Meth seine erste Ehe war. Und ich frage mich, ob er Recht hat. Ob wir in dem hemmungslosen Drogenkonsum etwas zu finden glauben, dessen Verlust wir wach nicht aushalten können. „Jeder Drogenkonsum ist eine ganz individuelle Geschichte“, sagt Sebastian. Hat Paracelsus wohl Drogen genommen?

Morgen hör ich auf. Wirklich.

Der Roman „Zone C“ ist keine Autobiografie. Bei seinen ersten Lesungen hat Sebastian sogar verneint, dass er Konsument war. „Ich hatte Angst“, sagt er. „Vor Stigmatisierung. Vor der Reaktion von meinem Arbeitgeber“, soziale Ächtung, füge ich hinzu. Er nickt durchs Telefon. „Zone C“ ist im Crystal Rausch entstanden und war nicht als Roman geplant. Es sind Textfragmente, die teils wie Tagebucheinträge wirken und die Geschichte eines jungen Mannes begleiten, der verloren durch sein Leben stolpert und es irgendwann von außen betrachtet, während er sich in seinem eigenen Kopf immer fremder wird. „Du merkst, dass da bist nicht mehr du“, sagt Sebastian vorsichtig. Dass da. Ein Produkt von einer Sucht, die mit ein bisschen Cannabis angefangen hat.

„Ich frage mich halt, warum die Menschen es dann doch machen, also Crystal. Warum, Sebastian?“ Weil der Mensch sehr gut darin ist, sich selbst zu verarschen und Banalisierung Nahrung für die Seele der Sucht ist. So sagt er das nicht, er beschreibt mir einen Dämon, der verführt und manipuliert und suggeriert, dass es ohne die Droge zwar geht, aber eben schlechter. „Und weil’s billig ist.“ Bis zur Mitte der 90er Jahre war die Crystal Meth Herstellung fest in der Hand der vietnamesischen Mafia. Über die tschechische Grenze wurde es nach Deutschland importiert, 1 Gramm kostete dort 5 Euro. Zum Vergleich: Für Kokain zahlt man mindestens zehn Mal so viel. Eine toxische Dynamik. „Seit dem Wegfallen der Grenzkontrollen flutet Crystal ungehindert durch Deutschland durch. Es gibt einen neuen Hotspot an der holländischen Grenze, Crystal Meth kommt jetzt von zwei Seiten.“ Ich sage nichts, weil es mich erschreckt, wie präsent die Droge ist, wenn man hinschaut. Ich stelle sie mir vor, wie einen Dementor, der alles Positive aussaugt - Alles und die Seele. Und man merkt es erst, wenn man keine mehr hat. Manche Narben sind irreparabel.

Liberale Drogenpolitik und dann?

Ich denke in diesem Moment an mein soziales Netz. Ich habe viele Menschen in meinem Umfeld, die ab und zu Drogen nehmen. Mir macht es Angst, Sebastians Geschichte zu erfahren und sie unterbewusst auf einige Freunde zu projizieren. Und eigentlich finde ich die liberale Drogenpolitik gut, höre ich mich sagen. „Offene Drogenszenen sind keine liberale Politik, Christina, das ist Gesetzlosigkeit“, sagt Sebastian.

Ecstasy ist kein Crystal Meth.
Cannabis ist kein Ecstasy.
Sucht ist aber nicht an Amphetamine gekoppelt.
Es ist wichtig, aufmerksam zu machen und aufmerksam zu sein.
Es ist wichtig, Menschen aufzufangen und in ihren Sorgen ernst zu nehmen.
Es ist wichtig, Verständnis zu haben und Fehler zu verzeihen.
Es ist wichtig zu lieben.

Wir leben in einer Zeit, in der alles so schnell ist, dass man kaum hinterherkommt. Unserer globalisierten Psyche ist schlecht, weil ein System Druck ausübt, der kaum auszuhalten ist. Das kotzt mich an. Die ganze Welt bräuchte ein paar Opiate, denke ich manchmal. Wir helfen aber weder uns, noch irgendwem, wenn wir das System mit Selbstverletzung bekämpfen. Drogensucht kann von überall herkommen. Aber sie kann auch wieder gehen. Sebastian Caspar ist das beste Beispiel dafür.

Lest „Zone C“ (ISBN: 978-3-95791-071-4)
weil es viel mehr ist, als ein Roman über eine Crystal-Meth Sucht.

Und nehmt das Zeug nicht. Das ist verrückt! Batteriesäure pur würde man ja auch nicht trinken – auch nicht mit einem Spritzer Zitrone, eisgekühlt. 
 

Foto: unsplash// Colin-davis

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